New World Order

Warum jetzt die Zeit für Veränderung ist.

Die gesamte Menschheit befindet sich (gemeinschaftlich) im Krieg – gegen einen unsichtbaren Feind namens SARS-CoV-2 – Corona. Und das Beste, was man tun kann, ist zuhause zu bleiben und darauf zu hoffen, dass uns unser technologischer Fortschritt möglichst schnell Waffen in Form von Tests, Medikamenten und Impfstoffen an die Hand gibt.

Tatsächlich fühlt es sich ein wenig so an wie der berühmte Song von R.E.M.:

Die größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg

Ist nach Corona alles anders? Schon jetzt ist klar, dass massive Schäden zurückbleiben werden. Viele Menschen werden ihr Leben lassen. Die Folgen für die Wirtschaft sind aktuell noch nicht abzusehen. Aber es werden auch hier deutliche Spuren sichtbar sein. Allein für den deutschen Bankensektor existieren Prognosen, dass bis 2022 ca. 150.000 Stellen, also ca. 30 % aller Jobs, verloren gehen.

Es droht der Weltwirtschaft die größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg.

Quelle: António Guterres / Tagesschau

So unvorbereitet das Coronavirus uns als Menschen weltweit und die globale Wirtschaft trifft, so sehr kam diese Katastrophe mit Ansage. Ein IWF-Arbeitspapier aus 2019 zitiert Expertenaussagen mit folgenden Worten:

„There is growing agreement between economists and scientists that the tail risks are material and the risk of catastrophic and irreversible disaster is rising, implying potentially infinite costs of unmitigated climate change, including, in the extreme, human extinction.“[1]

Während hier noch sehr abstrakt das Risiko der Auslöschung der Menschheit betrachtet wird, wird der Pandemieplan der Länder in Deutschland schon sehr konkret im Hinblick auf das aktuell eingetretene Szenario:

„Es wird befürchtet, dass in den nächsten Jahren ein Influenzavirus des A-Typus auftritt, das bisher unter den Menschen noch nicht verbreitet war. Ein Influenza-A-Virus aus dem Tierreich könnte die Eigenschaft gewinnen, Menschen zu infizieren und sich unter Menschen zu verbreiten.
Die menschliche Natur hätte gegen ein solches Virus keine Abwehrstoffe. Ein solches von Mensch zu Mensch übertragbares Virus würde sich – vermutlich nach einer gewissen Anpassungsphase – sehr schnell in einer Region und von da aus über die Welt ausbreiten können. Die heutigen täglichen Verkehrsverbindungen in alle Welt würden zur Beschleunigung der Ausbreitung beitragen. Es würden dabei sehr viel mehr Menschen erkranken als in den jährlichen Grippewellen. Es entsteht eine weltweite Epidemie, genannt Pandemie, die eine erhebliche Auswirkung auf das medizinische Versorgungssystem, die öffentliche Ordnung und das Soziale – sowie Wirtschaftsleben hat.“[2]

Was klingt wie die Dokumentation des aktuellen Geschehens, stammt (beispielhaft) aus dem Pandemieplan des Landes Hessen – wohlgemerkt aus dem Jahr 2007.

Es bleibt die Frage: Wenn doch alle wussten, was uns droht (einschließlich Bill Gates), warum trifft es uns dann so hart und unvorbereitet? Oder anders gefragt: Kann man sich überhaupt auf ein solches Risikoszenario vorbereiten?


Vom Umgang mit Risiken

Um Risiken – auch finanziell – zu bewerten, setzen Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen in der Regel auf eine Risikomatrix in folgender Form:

Klassische Risikomatrix

Das Risiko wird berechnet aus Schadenshöhe x Eintrittswahrscheinlichkeit. Wichtig ist zu verstehen, dass jeder von uns – ob CEO oder Krankenschwester, alt oder jung – implizit genau diese Bewertung auch für sich vornimmt: Im Umgang mit solchen Krisenszenarien ordnet jeder für sich das Risiko nach der Wahrscheinlichkeit davon betroffen zu sein und den möglichen Auswirkungen auf sich und sein Umfeld ein.

Es wird klar, warum der Umgang mit dem Coronavirus von Leugnung bis Panik reicht und warum es schwierig ist, sich auf ein solches Szenario vorzubereiten: Risiken sind höchst subjektiv, da sie der Bewertung und den Kenntnissen des Einzelnen unterliegen.

Oder nach Ulrich Beck[3] :

Der neue Typus globaler Risiken ist durch (mehr oder weniger uneingestandenes) Nichtwissen gekennzeichnet.

Zu deutsch: Es gibt nicht “das Szenario”. Das Verhalten des Einzelnen spiegelt letztlich die individuelle Bewertung der Situation wider: Die einen feiern Corona-Partys in der Annahme, dass für sie kein gesundheitliches Risiko besteht. Andere wiederum prügeln sich aus Angst vor Versorgungsengpässen um das Toilettenpapier in Supermärkten. Während die einen Unternehmen das gesamtgesellschaftliche Risiko im Blick haben und ihre Produktion verändern, sorgen sich andere vorrangig um ihr eigenes Wohlergehen (auch wenn das im Fall Adidas gehörig nach hinten losging).

So ist auch erklärbar, warum das autoritäre Staatssystem in China zunächst jegliche Existenz von SARS-CoV-2 geleugnet hat und damit zum Brandsatz einer globalen Pandemie wurde, während dieses Verhalten in vielen demokratischen Staaten als verstörend bis verwerflich aufgefasst wird. Beim Umgang mit Risiken spricht Beck vom “Clash of risk cultures”, d.h. der Umgang mit dem Nichtwissen hängt stark von der Kultur des Landes oder der kulturellen Prägung des Einzelnen ab. Und in diesen kulturellen Unterschieden liegt Konfliktpotenzial.

Beck geht noch weiter:

„In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken.“

Quelle: Ulrich Beck – Risikogesellschaft

Das bedeutet, dass wir – ohne zu wissen, wie damit umzugehen ist – systematisch Risiken schaffen, die das Potenzial für immer mehr globale Konflikte liefern. Gleichzeitig werden die Risiken zunehmend existenzieller.

Der Club of Rome schreibt dazu:

“It is important to acknowledge that the planet is facing a deeper and longer-term crisis, rooted in a number of interconnected global challenges. Emerging infectious diseases (EIDs) such as Ebola, bird flu, SARS and now coronavirus (COVID-19) cause large-scale deaths, disease and economic damage, disrupting trade and travel networks. About 70% of these diseases originate in animals (mainly wildlife). Their emergence results from human activities such as deforestation, expansion of agricultural land and increased hunting and trading of wildlife, activities that can also contribute to biodiversity loss. Many pathogens remain to be discovered so the diseases we know about are only the tip of the iceberg.”[4]


Pulverfass globale Weltordnung

In der Vergangenheit gingen diese von Menschen – insbesondere durch technologischen Fortschritt – geschaffenen Risiken zwar mit einer Erhöhung des Katastrophenpotenzials einher, es reduzierte sich aber in der Regel die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines solchen Falles. Beispielsweise ist es sicherer mit dem Flugzeug zu fliegen als mit dem Auto zu fahren, dennoch ist die Zahl der Opfer bei einem Flugzeugabsturz meist weitaus höher.

Die Zahl der Risiken mit Katastrophenpotenzial steigt weiter. Man denke z.B. an CRISPR-Technologie oder Künstliche Intelligenz. Gleichzeitig erleben wir auch eine Zunahme der Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken, was ursächlich in unserer globalen Weltordnung liegt:

1. System globaler Abhängigkeiten

SARS-CoV-2 zeigt uns eindrucksvoll, wie Netzwerkeffekte exponentielles Wachstum befeuern. Die globale Vernetzung und der globale Austausch der Weltgemeinschaft sind dankbarer Nährboden für die ungehinderte, pandemische Ausbreitung eines solchen Virus.

Wie anfällig die Weltwirtschaft dadurch geworden ist, sehen wir z.B. darin, dass lokale Ernten gefährdet sind, weil durch die Schließung der Außengrenzen ca. 300.000 ausländische Erntehelfer in Deutschland fehlen. Oder dass plötzlich der Versorgungsnotstand bei medizinischer Schutzbekleidung ausbricht, weil in China die Produktion stillsteht. Überspitzt gesagt entscheidet China damit über Leben und Tod in unserem Land.

2. Permanentes Wachstum

Unsere Wirtschaftssysteme basieren auf der Annahme, dass permanentes Wachstum das zentrale Erfolgskriterium ist: “Seit sieben Jahrzehnten ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts das übergeordnete wirtschaftliche Ziel der europäischen Staaten”. Das manifestiert sich dann in Unternehmen dergestalt, dass z.B. bei Aktienunternehmen Gewinnwarnungen – in aller Regel also ein etwas kleinerer Gewinn als erwartet – zu Kurseinbrüchen führen.

Folge ist, dass wir in einer auf Durchsatz getrimmten “Cradle to Grave”-Konsumgesellschaft leben, d.h. Konsum und Verschwendung statt Nutzung und Erneuerung. Die (vermeintlich kostenlos) zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen werden dabei vollumfänglich abgeschöpft, mit den Konsequenzen wie sie der Club of Rome zuvor beschreibt. Und auch der Faktor “Humankapital” wird effizient ausgenutzt, sodass eine immer größere Schere zwischen Arm und Reich entsteht.

3. Rivalisierender Wettbewerb

Während in Deutschland bzw. auf nationaler Ebene die Prinzipien des Sozialstaates für ein Gegengewicht zur (schöpferischen) Zerstörungskraft des freien Marktes sorgen, gibt es diesen Ausgleichsmechanismus auf globaler Ebene nicht. Es entsteht ein rivalisierender Verdrängungswettbewerb darwinistischer Prägung. Vor diesem Hintergrund steigt die Gefahr, dass zur Sicherung der eigenen Position die Grenzen des Machbaren bis zum Äußersten und darüber hinaus ausgereizt werden. Das Beispiel der CRISPR-Genmanipulation in China zeigt dies eindrucksvoll. Was möglich ist, wird in diesem Wettbewerb auch getan. Die Plattformökonomie kommt hier als weiterer Beschleuniger ins Spiel, da sie die Monopolisierung von Märkten erleichtert und plötzlich einzelne Unternehmen zum weltweiten Machtmonopol aufsteigen lässt.

All diese Risiken, die uns derzeit begegnen, sind gekennzeichnet durch Entgrenzung, Unkontrollierbarkeit und Nicht-Kompensierbarkeit.[5]

Der Club of Rome schreibt:

“Like Covid-19, climate change, biodiversity loss, and financial collapse do not observe national or even physical borders. These problems can be managed only through collective action that starts long before they become full-blown crises and must be acted upon not as singular threats but as a potential series of shocks.”[4]


Drei Handlungsprinzipien als Ausweg

Die gute Nachricht ist: Die Lösungen für diese Herausforderungen sind längst bekannt. Es geht um “…Investitionen in erneuerbare Energien anstelle fossiler Brennstoffe; Investitionen in Natur und Wiederaufforstung; Investitionen in nachhaltige Nahrungsmittelsysteme und regenerative Landwirtschaft…”.

Es geht um den Übergang “ …zu widerstandsfähigen, kohlenstoffarmen Volkswirtschaften und naturreichen Gesellschaften …”, die auf folgenden Prinzipien fußen:

1. Think global, act local

Background Data Network Web

Globale Risiken können nur global gelöst werden. Dafür braucht es nach Ulrich Beck einheitliche wirtschaftliche und soziale Standards auf transnationaler Ebene.[6] Das “Mehr” an transnationaler Kommunikation und Standards muss einhergehen mit einem “Mehr” an lokaler Produktion, um globale Abhängigkeiten zu reduzieren und “globale Ausbeutung” vorzubeugen.

2. Dauerhaftes Gleichgewicht als Leitbild der Ökonomie

In einem offenen Brief haben im Jahr 2018 über 200 Ökonominnen und Ökonomen das Zeitalter Postwachstumsökonomie eingefordert: “…um die sozialen Probleme in den europäischen Ländern zu lösen, brauchen wir heute kein weiteres Wachstum. Was wir brauchen, ist eine gerechtere Verteilung der Einkommen und des Reichtums, den wir bereits haben. Zudem wird es immer schwieriger, überhaupt Wachstum zu erzeugen – weil die Produktivitätszuwächse abnehmen, die Märkte gesättigt sind und die Umwelt geschädigt ist. Wenn sich diese Trends fortsetzen, könnte es absehbar innerhalb des kommenden Jahrzehnts in Europa überhaupt kein Wachstum mehr geben. …”. [7]

Statt grenzenlosem Wachstum muss das Leitbild der Ökonomie ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Menschen, Wohlstand und unseren planetarischen Grenzen sein. Ein gelebtes Cradle-to-Cradle-Prinzip.

3. „Skin-in-the-game“-Prinzip durch Genossenschaften

Im Vorwort seines Buches “Antifragilität” kritisiert Nassim Nicholas Taleb ein seit 2008 zu beobachtendes Phänomen, dass “…diejenigen, die Risiken erzeugen, zwar die Erträge daraus mitnehmen, aber nicht die Kosten dieser Risiken tragen. Damit werden solche Personen zu den größten Risikoerzeugern der Gesellschaft.”[8] Um die Risiken einer Gesellschaft zu vermindern, schlägt Taleb das „Skin-in-the-game“-Prinzip vor:

“Verantwortliche setzen ihre eigene Haut aufs Spiel. Niemandem sollte es erlaubt sein, anderen durch eigene Fehler Schaden zuzufügen, ohne gleichzeitig selbst Schaden zu nehmen. Das ist ein zivilisatorisches Grundprinzip, das leider vergessen ging. Der Bürokrat wird für seine Fehler nicht zur Rechenschaft gezogen, der Ökonom wird für seine falschen Prognosen nicht bestraft. Ökonomische Modelle sind darum zumeist kompletter Unsinn, weil für die Konsequenzen der Modelle nicht jene bezahlen, die sie entwickelt haben. Wenn ich „Skin-in-the-game“ sowohl als Regel von Risikomanagement wie auch als ethischen Grundsatz anwende, dann werde ich mich davor hüten, irgendwelche Voraussagen zu machen. Ich werde meinen Kunden zeigen, was ich selbst in meinem Portfolio habe. Wenn mir jemand folgt und Geld verliert, verliere ich selbst auch welches.”

Das genossenschaftliche Prinzip im Sinne einer Vergesellschaftung von Risiko und Ertrag unter Beibehaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien erscheint dafür prädestiniert. Genossenschaftlich geführte Plattformen können Gegenpole zu transnationalen Konzernen klassischer Prägung bilden.

Covid-19 hat uns gezeigt, dass eine Transformation über Nacht möglich ist. Eine andere Welt, eine andere Wirtschaft dämmert plötzlich.“

Quelle: Club of Rome

Klar ist, Covid-19 könnte der letzte Warnschuss sein, um diese Welt endlich auf nachhaltige Beine zu stellen.

Wir sollten uns diese Chance nicht entgehen lassen.


[1]https://www.imf.org/en/Publications/WP/Issues/2019/09/04/Macroeconomic-and-Financial-Policies-for-Climate-Change-Mitigation-A-Review-of-the-Literature-48612

[2]https://soziales.hessen.de/sites/default/files/HSM/pandemieplan_des_landes_hessen.pdf

[3]https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/risikogesellschaft/4019

[4]https://clubofrome.org/impact-hubs/climate-emergency/open-letter-to-global-leaders-a-healthy-planet-for-healthy-people/

[5] Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, S. 103 ff.

[6] Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002.

[7]https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-09/postwachstumsoekonomie-wirtschaftswachstum-ressourcen-eu-lebensqualiteat-offener-brief

[8]http://www.blicklog.com/2013/08/12/neue-denker-ber-konomie-und-verantwortung-skin-in-the-game/

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